Ernst Pöppel
Wie alles erst auf 3 Beinen sicher steht, so wird auch unser Wissen von 3 Säulen getragen - und das erahnen vor allem die Künstler. Jede Säule des Wissens ist wichtig, sonst hat unser
Wissensgebäude keinen Halt.
"Wissen-1" ist jenes Wissen, worüber wir reden können, das durch Definitionen festgehalten werden kann (z.B. "Wie lautet der Satz des Pythagoras?"). Manchmal meint man, daß nur dieses explizite
Wissen, das mit unserer Sprache klar und deutlich erfaßt werden kann (und das leicht mit "Information" verwechselt wird), das eigentliche Wissen sei; doch es ist nur ein Teil - aber ein
unverzichtbarer Teil.
"Wissen-2" ist das, was wir können, ohne das wir Worte dafür haben müssen; oft ist es unmöglich zu sagen, warum wir etwas können oder wie wir etwas machen ("Wie malt der Künstler ein Bild? Wie
verstehen wir, was wir lesen?"). Können als implizites Wissen - als Handlungswissen - kennzeichnet den Experten (den Künstler, Wissenschaftler, Handwerker, Politiker, Unternehmer), der mit
Intuition, ohne notwendige Reflexion, handelt, und dennoch richtig handelt.
Der berühmte Satz des Sokrates "Ich weiß, daß ich nichts weiß" ("Wissen-1") wird im "Wissen-2" durch den Satz kontrastiert: "Ich weiß nicht, daß ich weiß". "Wissen-3" ist unser persönliches
Wissen, das sich in unseren bildhaften Vorstellungen, in den erinnerten Orten, an denen wir gewesen sind, in wichtigen Erlebnissen unserer Lebensgeschichte widerspiegelt ("Welches ist meine erste
Erinnerung?").
"Wissen-3" umfaßt das, was wir aus der Welt durch unsere Sinne aufgenommen haben, das für uns Bedeutung hat, also einen Wert darstellt (den wir häufig mit anderen teilen). "Wissen-3" ist
bestimmend für unsere Identität.
Die 3 Wissensformen, die jeder in sich trägt (wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung) sind als Säulen menschlichen Wissens engstens miteinander vernetzt und müssen in einer
Wissensgesellschaft gleichwertig und aufeinander bezogen geformt werden; wenn wir uns auf jeweils nur eine Wissensform konzentrieren, machen wir uns zu Karikaturen unserer selbst.
Nur "Wissen-1" ist unfruchtbar, nur "Wissen-2" ist ziellos; nur "Wissen-3" ist unverbindlich. Die Dreigliedrigkeit menschlichen Wissens wird uns von Künstlern deutlich gemacht.
Damit erinnern Künstler an eine notwendige Bedingung der Wissensgesellschaft, daß nämlich verteilte Aktivitäten verbunden werden müssen. Diese "Syntopie", die Verbindung des räumlich und
gedanklich Getrennten, ist Voraussetzung für Kreativität, die aus der Verbindung von explizitem Wissen, implizitem Können und persönlichem Wissen erwächst.
Die Kunstwerke (Bilder und Installationen) sind Ausdruck der 3 menschlichen Wissensformen und ihres inneren Bezuges. Die 3 Inseln der Künste machen etwas weiteres deutlich: Kunst und
Wissenschaft gehören zusammen.
Künstler werden angeregt, explizites Wissen über die Natur in uns und um uns in einen umfassenden Wissenskontext zu stellen; Wissenschaftler erkennen, daß ihre Arbeit in dem umfassenden Kontext
eine neue Bedeutung bekommt.
Als Betrachter erfahren wir, daß es biologische Grundbedingungen des künstlerischen Handelns gibt, die uns ein tieferes Verständnis des Kunstwerks ermöglichen. An den Grenzen entsteht das Neue,
und dies gilt auch für die Wechselwirkung zwischen Kunst und Wissenschaft.